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Günter Steinke

Günther Steinke, geboren in Lübeck, studierte Schulmusik und Germanistik in seiner Heimatstadt und in Köln sowie Komposition in Freiburg bei Klaus Huber (Komposition), Mesias Maiguashca (elektronische Musik) und Peter Förtig (Musiktheorie). Seit 2004 ist er Professor für Instrumentalkomposition an der Folkwang Hochschule in Essen. Er baute das Ensemble folkwang modern auf und hat dessen künstlerische Leitung inne. Außerdem ist er Initiator vieler Projekte im Ruhrgebiet, u.a. als Mitbegründer des Festivals „NOW!“ in Essen.

Der Sandmann

In meinem Stück über das Nachtstück „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann geht es mir nicht darum, die Geschichte zu erzählen, die verschiedene Motive, Ebenen und Handlungsstränge kennt. Die von mir ausgewählten Textteile beziehen sich im ersten Teil auf die emotionale und psychische Konstitution des Protagonisten Nathanael, der in Form eines Briefes an seine Verlobte die grausame und unheimliche Kindheitsgeschichte um die alchimistischen Experimente seines Vaters und des Anwalts Coppelius erzählt. Im Wechsel mit rein musikalischen Passagen wird hier eine vielschichtige Befindlichkeit entworfen, wobei die eigentliche Handlung der Geschichte nur fragmentiert erscheint.

Der zweite Teil ist die Antwort seiner Verlobten Clara - nomen est omen - in Form eines Briefes, die eine klare psychologische Analyse der Angstzustände Nathanaels enthält und ihm klarmacht, dass die „dunklen Mächte“ nur in ihm leben können, wenn er ihnen den Platz dazu gibt. Diese Analyse stammt aus einer Zeit, die die ersten Anfänge eines psychologisierenden Denkens entwirft, lange vor Sigmund Freud, der sich aber in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ mit dieser Erzählung beschäftigt.

Der dritte Teil beinhaltet die Erzählung um Nathanaels Liebe zu Olimpia, eines von seinem Professor Spalanzani und dem Brillenhändler Coppola entworfenen Automaten.

Durch meine Interpretation ziehen sich mehrere Aspekte. Zum einen der „Automat“: Während die Romantik dieses Thema entwirft und den Automaten als eine leblose Maschine enttarnt, entwirft unsere Gegenwart ein positiv geladenes Bild der Maschinen, in dem sie immer stärker das „Partnerschaftliche“ von Mensch und Maschine in den Fokus stellt. Siri und Alexa sollen unsere Freunde sein. Zum anderen ist die Frage nach der Selbstbestimmung des Menschen und den normativen Abhängigkeiten in dem Text ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung. Die Gegensätzlichkeiten von eher unreflektiert gelebter Emotionalität in Folge von traumatisierenden Erlebnissen und der gedanklichen Auseinandersetzung mit den psychologischen Hintergründen und die Vermenschlichung des Maschinellen im Spannungsfeld von Täuschung und Wirklichkeit sind die thematischen Kernpunkte meiner Musik. Der Automat zieht sich über weite Teile fast unmerklich durch die Musik des gesamten Stückes und enttarnt sich als solcher erst am Schluss des Stückes. In diesem Sinne ist die Musik nicht narrativ, sondern beschäftigt sich mit den thematischen Hintergründen des Textes. Die drei Teile meines Stückes bearbeiten unterschiedliche thematische Sphären: das verworrene und sprunghafte Unheimliche und die traumatisierte Emotionalität in der Geschichte des „Sandmanns“ im ersten Teil, die klare Gedankenführung der Analyse im zweiten und die Musik einer ambivalenten Liebe zu einem scheinbar wunderschönen und verführerischen Automaten im dritten Teil. (Günter Steinke)

Günter Steinke

Günther Steinke, born in Lübeck, studied school music and German language and literature in Lübeck and Cologne as well as composition in Freiburg with Klaus Huber (composition), Mesias Maiguashca (electronic music) and Peter Förtig (music theory). Since 2004 he has been professor of instrumental composition at the Folkwang Hochschule in Essen. He built up the ensemble folkwang modern and took over its artistic direction. He is also the initiator of many projects in the Ruhr region, including as co-founder of the "NOW!" festival in Essen.

Der Sandmann

In my music piece about the night play "The Sandman" by E.T.A. Hoffmann, I am not concerned with telling the story, which has various motifs, levels and plot lines. In the first part, the text passages I have chosen to relate to the emotional and psychological constitution of the protagonist Nathanael, who tells the cruel and uncanny childhood story about the alchemical experiments of his father and the lawyer Coppelius in the form of a letter to his fiancée. Alternating with purely musical passages, a multi-layered state of mind is sketched out here, whereby the actual plot of the story appears only fragmented.

The second part is the answer of his fiancée Clara - nomen est omen - in the form of a letter, which contains a clear psychological analysis of Nathanael's states of anxiety and makes it clear to him that the "dark forces" can only live in him if he gives them the space to do so. This analysis dates from a time that sketches the first beginnings of psychologising thought, long before Sigmund Freud, who, however, deals with this narrative in his essay "The Uncanny".

The third part contains the narrative about Nathanael's love for Olimpia, an automaton designed by his professor Spalanzani and the spectacle dealer Coppola.

Several aspects run through my interpretation. Firstly, the "automaton": while the Romantic period develops this theme and exposes the automaton as a lifeless machine, our present day creates a positively charged image of machines in which it increasingly focuses on the "partnership" between man and machine. Siri and Alexa are supposed to be our friends. On the other hand, the question of human self-determination and normative dependencies is a central point of contention in the text. The contrasts between rather unreflected emotionality as a result of traumatizing experiences and the mental examination of the psychological background and the humanization of the machine in the field of tension between deception and reality are the thematic core points of my music. The automaton runs almost imperceptibly through the music of the entire piece and only reveals itself as such at the end of the piece. In this sense, the music is not narrative, but deals with the thematic background of the text. The three parts of my piece deal with different thematic spheres: the confused and erratic uncanniness and traumatized emotionality in the story of the "Sandman" in the first part, the clear thought-leadership of the analysis in the second and the music of an ambivalent love for an apparently beautiful and seductive automaton in the third part. (Günter Steinke)

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